Vom Denken der Natur zur Natur des Denkens by David Wirmer

Vom Denken der Natur zur Natur des Denkens by David Wirmer

Autor:David Wirmer [Wirmer, David]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2014-12-10T00:00:00+00:00


Der »Körper, der jene Form hat«, das ist die angeborene Wärme beziehungsweise das angeborene Pneuma, das den Gemeinsinn zu seiner Form hat. Von diesem Körper und mithin von der wahrnehmenden Seele als seiner Form sagt Ibn Bāǧǧa, er sei die Form des Sinnesorgans wie der Kapitän die Form – nicht einmal des Schiffes, sondern im Schiff. Damit greift er eine Metapher auf, die zwar von Aristoteles formuliert worden ist, aber wohl mit Recht als Ausdruck eines nichtaristotelischen Seelenverständnisses gilt. Aristoteles fragt, ob die Seele in der Weise Vollendung (Entelechie) des Körpers ist wie der Schiffer für das Schiff, aber er hat zuvor schon verneint, was charakteristisch für das Verhältnis von Schiffer und Schiff ist. Denn während der Schiffer sich vom Schiff trennen kann, sagt Aristoteles, dass die Seele – mit der möglichen Ausnahme des Intellekts –nicht vom Körper abtrennbar ist.1468

Bei Ibn Bāǧǧa scheint hier die Lehre vom »Seelenwagen« als Mittlerinstanz anzuklingen, wenn er sich in der bereits zitierten Textpassage in folgender Weise äußert: »Und durch seine Existenz darin« – nämlich durch die Existenz des Gemeinsinnes in der angeborenen Wärme – »kann er sich mit den Sinnesorganen verbinden und durch ihr Bewegtwerden [selbst] bewegt werden, denn was unkörperlich ist, verbindet sich nicht mit dem, was außerhalb seiner ist« (N IX. 6). Was doch zu heißen scheint, dass die unkörperliche Seele sich nur mittels der angeborenen Wärme mit dem Körper vereinigen kann. Als Bindemittel bietet sich das Konzept der Lebenswärme beziehungsweise des Pneumas vortrefflich an, um einer nominell aristotelischen Psychologie diesen neuplatonischen Dualismus aufzupfropfen. Die angeborene Wärme wird zu einer Mittelinstanz, die je nach Kontext als rein physiologischer Baustein gedeutet oder aber mit einer ontologischen Überbrückungsfunktion ausgestattet werden kann. Daher ist es zwar falsch, aber nicht absurd, wenn bereits Proklos Aristoteles die Annahme eines pneumatischen Seelenwagens zuschrieb.1469 Ist Ibn Bāǧǧas Psychologie in diese Tradition einzuordnen?

Ein weiteres Indiz scheint innerhalb der dargestellten Physiologie die Interpretation des Drei-Faktoren-Modells zu sein, mit der Ibn Bāǧǧa aus dem Pneuma das »Selbstbewegte« (mutaḥarrik min tilqā’ihī) macht, durch welches das Lebewesen erst mittelbar zum Selbstbewegten wird, während die aristotelische Bewegungstheorie, die er in seinem Kommentar zur Physik doch auch aufnimmt, gerade deutlich macht, dass nur das Lebewesen als Einheit aus dem unbewegten Beweger der Seele und dem bewegten Körper »sich selbst« bewegen kann.1470 Diese problematische Auffassung des Pneumas – oder in diesem Falle der Wärme – als »Selbstbewegtes« findet sich im Buch der Seele nun auch bezüglich des Nährvermögens:

[N II. 19] »Die angeborene Wärme ist also das Organ der Seele, und die Nährseele bewegt zuerst die angeborene Wärme – die das ist, was sich von selbst bewegt – und bewegt mittels der angeborenen Wärme die Nahrung. Denn was sich [selbst] nicht bewegt, kann nichts bewegen, in dem es nicht ist, außer dadurch, dass es zuerst mittels eines Körpers bewegt, in dem es ist, gemäß dem, was im achten [Buch] der Physik erklärt worden ist. Diese Potenz verursacht eine so geartete Bewegung und lässt das, was in Potenz das Etwas ist, in dem sie ist, dahin gelangen, dass es ihm in Akt gleich wird.



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